Offene Dialektik by Catarina von Wedemeyer
Autor:Catarina von Wedemeyer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2019-06-15T00:00:00+00:00
3.3Individuum und Gemeinschaft
3.3.1«PoesÃa de soledad y poesÃa de comunión» (1943)
Das vorliegende Kapitel widmet sich dem poetologischen Essay «PoesÃa de soledad y poesÃa de comunión»,712 welcher im August 1943 in der Zeitschrift El Hijo Pródigo veröffentlicht wurde. In eindrücklicher Weise veranschaulicht der Text, wie früh Paz ein offenes dialektisches Denken als notwendige Strategie in einer Zeit der Dichotomien für sich übernommen hat. In diesem Essay wird das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft thematisiert und in einen literaturhistorischen Kontext gesetzt. So stellt sich auch hier die Frage nach dem Zeitbezug der Lyrik, und Paz war während des Spanischen Bürgerkriegs nicht der Einzige, der eine historische Einbettung von Literatur als notwendig empfand. In dem vorliegenden Essay von 1943 verortet sich Paz zwischen Kunst um der Kunst willen und Kunst mit Bezug zum gesellschaftlich-historischen Kontext, diesmal jedoch mit einer sehr deutlichen philosophischen Position zum Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Autor argumentiert in diesem Essay für den Stellenwert der menschlichen Gemeinschaft (comunión), und schlieÃt damit an ein soziales und historisches Verantwortungsbewusstsein des Künstlers an, das er schon 1931 in seinem Essay «Ãtica del artista» entworfen hatte. Im Unterschied zu seinem Text aus der Zwischenkriegszeit betonte Paz zwölf Jahre später, also inmitten des Zweiten Weltkriegs, die historische Verantwortung jedes und jeder Einzelnen.
Das Miteinander und die tägliche Erfahrung von Gemeinschaft beschreibt Paz als weitaus vielfältiger als die Binarität der einander gegenüberstehenden Weltanschauungen: «La realidad â todo lo que somos, todo lo que nos envuelve, nos sostiene y, simultáneamente, nos devora y alimenta â es más rica y cambiante, más viva, que los sistemas que pretenden contenerla.»713 In seiner Wahrnehmung kollektiver Realität, welche die Menschheit zugleich «nährt und verschlingt», spiegelt sich ein dialektisches Verständnis dieses Kollektivs, das einerseits überlebensnotwendig ist â Habermas spricht von der «intersubjektiven Verfassung des menschlichen Geistes»714 â andererseits aber stets die individuelle Unabhängigkeit bedroht.
Der Wunsch nach Dialog, nach einer Versöhnung mit und in der Welt, nehme Gestalt an, so argumentiert Octavio Paz, in der Religion, in der Liebe, im Fest und vor allem auch in der Dichtung. Einsamkeit und Gemeinsamkeit seien dabei die Extreme, zwischen denen das Gedicht zu situieren sei:
También el poeta lÃrico entabla un diálogo con el mundo; en ese diálogo hay dos situaciones extremas: una, de soledad; otra, de comunión. El poeta siempre intenta comulgar, unirse (reunirse, mejor dicho), con su objeto: su propia alma, la amada, Dios, la naturaleza... La poesÃa mueve al poeta hacia lo desconocido, y la poesÃa lÃrica, que principia como un Ãntimo deslumbramiento, termina en la comunión o en la blasfemia.715
Um sein dialektisches Verständnis von Dichtung zu illustrieren, vergleicht Paz den poetischen Text mit dem Liebesakt. Das Paar sei Einheit und Zweiheit zugleich;716 ebenso manifestiere sich auch in der lyrischen Form immer sowohl eine zutiefst individuelle Stimme als auch das «Rauschen» des Kollektivs. Adorno teilte diese Ãberzeugung: in seiner «Rede über Lyrik und Gesellschaft» erwähnte er etwa den «kollektiven Unterstrom»,717 der jede individuelle dichterische Rede grundiere. Zugleich sei es aber, so Adorno, die «Versenkung ins Individuierte»,718 welche dem Gedicht Allgemeingültigkeit verleihe. Auch Octavio Paz verbindet
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